Einige Kostproben...
Differenzierung - die Würde
der der Moderne
Die Würde der Differenzierung wird von den
antimodernen Kritikern oft völlig übersehen. Dies liegt daran, wie ich
glaube, daß sie durchwegs Differenzierung
mit Dissoziation
verwechseln.
Alle natürlichen und gesunden Wachstumsprozesse vollziehen sich durch
Differenzierung und Integration. Das anschaulichste Beispiel hierfür
ist das Wachstum eines komplexen Organismus aus einem einzelligen Ei.:
Die Zygote teilt sich in zwei Zellen, dann vier, acht, sechzehn und
zweiunddreißig und schließlich in Abermillionen von Zellen. Während
dieser außerordentlichen Differenzierung
werden die verschiedenen Zellen gleichzeitig zu kohärenten Geweben und
Systemen im Gesamtorganismus
integriert. Dank dieses Prozesses einer Differenzierung
und Integration kann sich eine einzelne Zelle zu einem mehrzelligen
Organismus und einem komplexen System von wunderbarer Einheit und
funktioneller Integrität entwickeln. ...
Wenn die Differenzierung ausbleibt, führt dies zu Verschmelzung,
Fixierung und allgemeinem Stillstand. Das Wachstum bleibt auf einer
bestimmten Stufe stehen. ...
Wenn andererseits die Diffrenzierung zu weit geht, ist das Ergebnis
Dissoziation oder Zersplitterung. Die Differenzierung gerät außer
Kontrolle, und die verschiedenen Teilsysteme lassen sich nicht mehr
integrieren.: Sie streben auseinander, statt sich zusammenzufügen. Die
Teile differenzieren sich nicht, sondern dissoziieren, und das Ergebnis
ist Zersplitterung, Unterdrückung, Entfremdung. ...
Wenn man aber nun Differenzierung mit Dissoziation verwechselt,
verwechselt man Wachstum mit Krankheit. Man verwechselt Würde mit
Katatstrophe, Evolution mit Desaster. Aber genau dies tun so viele
antimoderne Kritiker. (S. 76)
Dissoziation - die
Katatstrophe der Moderne
Einige Differenzierungen der Moderne sind in
der Tat zu weit gegangen, so dass hieraus Dissoziationen wurden, und
diese bezeichne ich als Katatstrophe
der Moderne. Kunst , Ethik, und Wissenschaft differenzierten sich nicht
nur - was ein notwendiger und hilfreicher Vorgang war -, sondern sie
begannen bald, in einer dramatischen Weise zu dissoziieren und
auseinanderzustieben, was, wie wir soeben gesehen haben, das
Kennzeichen einer Krankheit
in jedem wachsenden System ist.
Dies war eine Katatstrophe, eine Krankheit, weil es hierdurch einer
mächtigen monologischen Wissenschaft möglich wurde, die anderen Sphären
(die ästhetisch-expressive und die religiös-ethische) zu kolonisieren
und zu beherrschen, indem sie diesen überhaupt die reale Existenz
bestritt. Wenn die Diffrenezierung die große Würde der Moderne war,
dann war die Dissoziation die Katatstrophe . ...
Kunst, Wissenschaft und Ethik begannen getrennte Wege zu gehen, wobei
der Dialog zwischen diesen Sphären nahezu verstummte, und damit war der
Boden für eine dramatische, triumphale und furchterregende Invasion
einer wuchernden Wissenschaft in die anderen Sphären bereitet.
Innerhalb von nicht mehr als einem Jahrhundert brachte die monologische
Wissenschaft in ihren verschiedenen Ausprägungen...den ernsthaften
Diskurs in der westlichen Welt völlig in seine Gewalt.
Einfacher ausgedrückt: Das Ich und das Wir wurden vom Es kolonisiert.
Das Gute und das Schöne wurden von einer wuchernden monologischen
Wahrheit vereinnahmt, die, wie bewundernswürdig sie einerseits war, in
ihrer Selbstüberschätzung überheblich und in ihren Beziehungen zu den
erstgenannten zu einer Krebsgeschwulst wurde. In maßlosem Dünkel und im
Rausch ihrer fulminanten Siege wurde die empirische Wissenschaft zum Szientismus, dem
Glauben, daß es keine Wirklichkeit gäbe außer derjenigen, die die
Wissenschaft zutage förderte. Der subjektive und innere Bereich, das
Ich und das Wir, wurden zu objektiven, äußeren, empirischen Prozessen
verflacht, seien sie atomistisch oder systemisch. Das Bewusstsein
selbst, Geist, Herz und Seele der Menschen konnte man mit einem
Mikroskop, einem Teleskop, einer Nebelkammer, einer fotografischen
Platte nicht sichtbar machen, weshalb sie im besten Fall zu
Epiphänomenen, im schlechtesten zu Illusionen erklärt wurden.
Alle inneren Dimensionen - der Moral, des künstlerischen Ausdrucks, der
Introspektion, der Spiritualität, des kontemplativen Gewahrseins, von
Sinn und Wert und Intentionalität - wurden von der monologischen
Wissenschaft verworfen, weil das Auge des Fleisches oder empirische
Instrumente sie nicht erfassen konnten. Kunst, Ethik, Kontemplation und
Geist wurden vom wissenschaftlichen Elefanten im Porzellanladen des
Bewusstseins zertrampelt. Damit war die Katastrophe der Moderne
geschehen. ...
Diese Dissoziation, diese Krankheit, diese Entwicklungspathologie,
dieser Zusammenbruch des Kósmos muß erkannt werden, wenn man verstehen
will, was dem GEIST in der modernen Welt zugestoßen ist. Die große
Kette des Sein, bis zur Moderne die tragende Säule einer jeden
menschlichen Kultur, brach im Angesicht der unerbittlichen Es-heiten
zusammen. Alle höheren Ebenen und Sphären, Geist und Seele, Güte und
Schönheit wurden sorgfältig vom Antlitz des Kósmos getilgt, und zurück
blieben Schmutz und Staub, Systeme und Sand, Materie und Masse, Objekte
und Es-heiten. Ein kalter und mitleidloser Wind blies, monologisch in
seiner Methode und berechnend in seinem Wahnsinn, über eine flache öde
Landschaft, eine Landschaft, die jetzt als Pünktchen in einem Winkel
dein und mein Antlitz enthält.
Die Entzauberung der Welt
Was für aufgeklärte Leute wie Sie und mich
einleuchtend ist, daß nämlich andere Erkenntnismodi andere
gleichermaßen gültige Wirklichkeiten enthüllen, so daß Wissenschaft und
Religion friedlich nebeneinander koexistieren könnten, wird von der
Wissenschaft von vornherein abgelehnt, weil die ersehnte Integration
Bedingungen enthält, die die Wissenschaft noch nicht einmal für real
hält. Warum, so fragt die Wissenschaft, sollten wir denn den Nikolaus
integrieren wollen? Warum Krankhaftes, Illusion und Irrtum? Warum
holistischen Kinderkram?
Damit stoßen wir auf das wichtigste uns zentrale Problem in der
Beziehung zwischen Wissenschaft und Spiritualität, nämlich den
konkreten Zusammenhang zwischen inneren und äußeren
Wirklichkeiten.
Hier gelangen wir nun an einen ganz
entscheidenden Wendepunkt, nämlich den Punkt, an dem die Differenzierung der
Großen Drei (die die große Würde der Moderne ausmachte) zu einer Dissoziation der
großen Drei (der Katatstrophe der Moderne) degenerierte. Diese
Dissoziation erlaubte es einer explodierenden empirischen Wissenschaft
im Gespann mit hemmungslos gewordenenen industriellen
Produktzionsweisen (die beide nur ein Es-Wissen und eine Es-Technik
propagierten), die übrigen Wertspähren zu unterjochen und zu
kolonisieren und sie eines jeden Eigenwertes zu berauben.
Die linken oder inneren
Dimensionen wurden also auf ihre rechtsseitigen Korrelate reduziert,
wodurch die Große Kette des Seins und mit ihr die grundlegenden
Aussagen der großen Weisheitstraditionen zum Einsturz gebracht wurden.
Links verflachte zu rechts. Dies ist in vier Worten die ganze
Katastrophe der Moderne, die als die 'Entzauberung der Welt' (Weber)
bezeichnet wurde, als die 'Kolonisierung der Wertsphären durch die
Wissenschaft' (Habermas), die 'Morgendämmerung des wüsten Landes' (T-S.
Eliot), die Geburt des 'eindimensionalen Menschen' (Marcuse), die
'Entheiligung der Welt' (Schuon), das 'entqualifizierte Universum'
(Mumford).
Es ist, um ihr einen anderen Namen zu geben, die Katastrophe von
Flachland.
Kant:
reine Vernunft und Metaphysik schließen sich aus
Immanuel Kant war vielleicht der erste
große Philosoph, der den Kampf gegen die Einebnung und Verödung durch
den modernen monologischen Kollaps aufnahm. Und doch zementierte sein
Werk letztlich - vor allem in den Händen weniger begabter Theoretiker -
die positivistische Hegomonie, was nach Auffassung der meisten
Gelehrten das genaue Gegenteil dessen war, was er beabsichtigte.
Kant zeigte zunächst in überzeugender Weise, daß die theoretische
Vernunft (die reine Vernunf, die monologische Rationalität, die
objektive Es-Erkenntnis) auf die Kategorien beschränkt ist, die die
sinnliche Erfahrung organisieren. Mit anderen Worten, die monologische
Es-Rationalität kann über die Kategorien des sensomotorischen Bereichs
... nicht hinausgelangen, weshalb die reine Vernunft metaphysische oder
transzendente Wirklichkeiten wie Gott, Freiheit und die Zeitlosogkeit
der Seele nicht erfassen, geschweige denn beweisen kann.
Und doch redeten die Philosophen und Theologen von Beweisen für die
Existenz des Geistes, der Willensfreiheit oder die Unsterblichkiet der
Seele, aber keine dieser Aussagen hatte letztlich irgendeinen echten
Erkenntniswert. Es waren Versuche der Vernunft, über das Reich
hinauszugelangen, in dem sie Kompetenz besaß, und das Ergebnis war
keine echte Erkenntnis, sondern nur großer unbeweisbarer Unsinn. Man
könnte einfach sagen, daß die wissenschaftliche Vernunft (die
Es-Rationalität) Gott nicht erfassen kann, weil Gott kein empirisches
Objekt ist.
Die 1781 verfaßte Kritk
der reinen Vernunft legte die Unfähigkeit der
monologischen Vernunft, metaphysische Wahrheiten zu erfassen,
unerbittlich bloß und zog damit einen dramatischen historischen
Schlußstrich unter diese Art von Metaphysik. Der Tod der traditionellen
Metaphysik: Dies war die praktisch unanfechtbare Schlußfolgerung von
Kants erster Kritik.
Für Kant war dies jedoch nur der Anfang. Er hatte gezeigt, daß die
monologische Vernunft die Existenz des GEISTES, von Freiheit oder
Unsterblichkeit nicht beweisen kann. Aber er zeigte auch, daß die
Vernunft ihre Existenz auch nicht widerlegen konnte.
Wissenschaft durfte also zweierlei nicht: Erstens sie durfte nicht
sagen, daß es den GEIST gibt, aber sie durfte zweitens auf gar keien
Fall sagen, daß es den GEIST nicht
gibt. Kants Anliegen war es, die Erkenntnis (Es-Erkenntnis) zu
zerstören, um Raum für den Glauben zu schaffen. Erst als die
objektivistische, positivistische, monologische Vernunft aufhörte, des
GEISTES habhaft werden zu wollen, konnten andere Erkenntnismodi zum
Zuge kommen, um in den Kampf einzutreten.
Daher versuchte Kant in seiner
Kritik der praktischen Vernunft (1788) zu zeigen, daß die dialogische Vernunft
zumindest mit einer gewissen Überzeugungskraft ein Beweis (bzw. eine
Widerlegung) des GEISTES gelingt, die die monologische Vernunft
nicht zu leisten vermag.
Netter Versuch: Romantik - Zurück
zur Natur
Die Romantiker gingen ihren eigenen Weg
gegen diese Zersplitterung und Dissoziation, der aber, wie sich zeigen
sollte, trotz bester Absichten nicht zum Ziel führen konnte. Wie wir
gesehen haben, führt die Verwechslung von Differenzierung und
Dissoziation - ein Fehler, der oft begangen wird - dazu, daß man die
Dissoziation durch Aufhebung der Differenzierung als solche heilen
will. Man geht in der Zeit zurück, und zwar nicht auf die Zeit vor der
Dissoziation, was in Ordnung wäre, sondern vor die Differenzierung, und
dies ist schlichte Regression. Man versucht, zu einem irgendwie
gearteten früheren Zustand der Verschmelzung oder Undifferenziertheit
zurückzugelangen,einem irgendwie 'ursprünglichen',
'jungfräulichen' und 'reinen' Zustand vor dem ganzen Irrsinn der
Moderne. Man möchte zurück zur Natur, zum edlen Wilden, zur Reinheit
und Unschuld einer unverdorbenen Vergangenheit. So wird man zum
Retro-Romantiker, der sich nach der 'Ganzheit' und 'Einheit' von ehedem
zurücksehnt und die Augen vor allem Unerfreulichen verschließt, das er
in den Gefilden der Prämoderne antrefen könnte. ...
Dieser außerordentliche Versuch, die Großen Drei zu integrieren und
wieder ein wenig mehr Ganzheit und Einheit in einer Moderne zu
schaffen, die von der Krankheit ihrer eigenen Einbildungen ausgezehrt
zu werden begann, war ein edles Bemühen, dem wir unsere Anerkennung
nicht versagen können. Deshalb glaube ich nach wie vor, daß wir den
Romantikern zu unendlichem Dank verpflichtet sind: Sie waren die
ersten, die vor über zweihundert Jahren den Finger auf die Wunde
legten. Sie waren die ersten, die mit authentischem Entsetzen hierauf
reagierten. Sie waren die ersten, die den Versuch unternahmen, die
Fragmente wieder zusammenzufügen, die Wunden zu heilen, eine Heimat im
Universum zu finden, ein bescheidener Teil des wunderbaren Stroms des
Lebens zu werden, statt sich anmaßend zu seinem Herrn aufzuwerfen. ...
Leider begingen viele Romantiker in ihrem verständlichen Eifer, über
die Rationalität hinaus zu einer echten spirituellen Ganzheit zu
gelangen, den Fehler, wahllos alles Nichtrationale zu empfehlen,
darunter auch vieles, was schlicht prärational,
regressiv, egozentrisch und narzißtisch war. Nur allzu oft
verwechselten sie prärationalen Antrieb mit transrationaler Einsicht,
präkonventionelle Kultur mit postkonventionellem Geist, präverbalen
Ausdruck mit transverbalem Gewahrsein , präkonventionelle und
egozentrische Willkür mit postkonventioneller und weltzentrischer
Freiheit und prädifferenzierte Verschmelzung mit transdifferenzierter
Integration. ...
Mit diesem Abdriften in alles Präkonventionelle drohten sie nicht nur
den Katatstrophen der Moderne, sondern auch ihren Würden den Garaus zu
machen.
Dies ist der Grund, warum viele Kulturkritiker von Robert Bellah über
Colin Campbell bis Jürgen Habermas die heutige Obsession mit Selbst,
Gefühl, impulsiver Befriedigung, das 'hier und jetzt Sein', die
Aufforderung 'verliere den Verstand und komme zu Sinnen', die
Hinwendung der weißen Mittelschicht zu den 'reinen, unschuldigen und
ganzen' Stammesreligionen, die Überzeugung, daß 'man seine eigene
Wirklichkeit schafft', die intensive Befriedigung der Sinne, den
Konsumrausch, die Selbstverherrlichung und die damit verbundene
gesellschaftliche Entfremdung als direkten Ausläufer der Romantik
sehen.
Dem Ziel so nah: Der Deutsche
Idealismus
Nein. ein 'Zurück zur Natur' beendet die
Entfremdung des Menschen und das Unglück seines Bewußtseins nicht,
sondern nur ein Vorwärtsschreiten zur dritten großen Stufe der
Entwicklung und Evolution, derjenigen des nichtdualen GEISTES. Für
Schelling und Hegel geht der GEIST aus sich selbst aus, um die
objektive Natur hervorzubringen, erwacht im subjektiven Geist zu sich
selbst und kommt im reinen nichtdualen GEIST wieder zu sich, in dem
Subjekt und Objekt ein einziger reiner Akt nichtdualen Bewußtseins
sind, das Natur und Geist im verwirklichten GEIST zusammenführt. ...
Der Mensch kann also die Entfremdung und das Unglück seines Bewußtseins
nicht primär durch eine Rückkehr zur Natur heilen, sondern nur durch
ein Fortschreiten zum nichtdualen GEIST. ...
Das Fortschreiten zur Nichtdualität war nun wahrhaftig eine
überwältigende Vision, wie es sie in der Geschichte der Menschheit noch
kaum je gegeben hatte: Die Evolution als Prozeß, in dem der GEIST sein
eigenes zeitloses Potential in der Zeit entfaltet. Auf dem festen
Fundament pragmatischer Fakten und der tatsächlichen
Bewußtseinsgeschichte und zugleich einer alles durchdringenden
spirituellen Wirklichkeit, die wunderbare Anmut und glanzvolle Größe
miteinander verbindet, brachte diese idealistische Vision den Himmel
auf die Erde, um diese zu erwecken, und die Erde zum Himmel, um diesen
zu preisen.
Der Idealismus kam einer Integration der Großen Drei sehr
nahe. Er ließ Kunst, Ethik und Wissenschaft allen Raum und betrachtete
sie als wichtige und geschätzte Augenblicke des ganzen GEISTprozesses.
...
Eines der entscheidenden Elemente einer jeden Integration von
Wissenschaft und Religion ist die Integration der empirischen Evolution
mit dem transzendenten GEIST. Die Idealisten entdeckten die wohl
einzige Möglichkeit, dieser speziellen Forderung gerecht zu werden,
nämlich die Deutung der Evolution als GEIST in seinem Wirken, womit sie
nicht nur das Was
und Wann
der Evolution berücksichtigten (die von der modernen Wissenschaft
akzeptierten empirischen Formen und rechtsseitigen Oberflächen),
sondern auch das Warum
und Wie
(die linksseitigen Tiefen und die innere Intentionaliät des GEISTES in
seinem Wirken).
Diese außerordentliche Erkenntnis bleibt das unsterbliche Verdienst des
Idealismus. Diese großartige Schau betrachtete das ganze Universum von
den Atomen über die Zellen, Organismen, Gesellschaften, Kulturen und
Geister zu den Seelen als die herrliche Entfaltung eines leuchtenden
Geistes, hell uund strahlend in seinem Wesen, unendlich in seiner
befreienden Gnade. Denn wie Hegel sagte, ist alles, was von Ewigkeit im
Himmel und auf Erden geschehen ist, das Leben Gottes und all die Taten
der Zeit nichts anderes als das Ringen des GEISTES darum, sich selbst
zu kennen, sich selbst zu finden, für sich zu sein und schließlich sich
mit sich selbst zu vereinen; er ist sich selbst entfremdet und geteilt,
doch nur um sich selbst finden und zu sich zurückkehren zu können. ...
Kritik des Idealismus
Und doch ... der Idealismus besaß zumindest
einen großen Mangel ... . Dieser Mangel lag darin, daß er keinen Yoga
hatte, also kein erprobtes Verfahren, um die transpersonalen und
überbewußten Erkenntnisse zuverlässig reproduzieren zu können, die doch
gerade den Kern der großen idealistischen Schau bildeten. Diese
Erkenntnisse stellten sich entweder spontan ein (und konnten damit
nicht ohne weiteres reproduziert werden), oder sie waren das Ergebnis
innerer Injunktionen (die in keiner verläßlichen und beständigen Praxis
verankert und damit ebenfalls nicht ohne weiteres reproduziert werden
konnten). ...
Damit traten ihre transpersonalen Erkenntnisse, so tief sie waren,
zufällig ein; schlimmer noch: die Idealisten besaßen keine Möglichkeit,
diese Erkenntnisse in einer zuverlässigen Weise in anderen zu
reproduzieren. Entweder stolperte man über diese transpersonale und
überbewußte Erfahrung oder eben nicht. Wenn ersteres der Fall war,
fühlte man sich von den Idealisten unmittelbar angesprochen;
andernfalls konnte man nur sagen, daß sie einfach bloß metaphysischen
Unsinn von sich gaben.
Weil eine echte Möglichkeit der Reproduktion von Injunktionen (oder ein
Yoga) fehlte, wurde die 'transpersonale Erkenntnis' der Idealisten als
'bloße Metaphysik' verworfen, und dies genügte nach Kant, um eine
Philosophie völlig zu diskreditieren.
Extreme Postmoderne
Aber wie so oft in der Postmoderne wurde
dieses Moment der Wahrheit, daß nämlich jedes tatsächliche Ereignis
eine interpretative Komponente hat, bis zu einem absurden und den
eigenen Untergang bereitenden Extrem getrieben: Es gäbe nur Interpretation,
weshalb man auf die objektive Komponente der Wahrheit überhaupt
verzichten könnte (in welchem Fall diese Theorie auch für sich selbst
keinen Wahrheitsanspruch erheben kann: 'Wenn sie also richtig ist, ist
sie falsch. Daher ist sie falsch.' Dies ist wie wir gesehen haben, der
performative Widerspruch, der sich in allem postmodernen
'Theoretizismus' verbirgt, womit dieser Ansatz oft zu einem
pseudo-kuhnianischen Manöver des 'Neuen Paradigma' wird).
Diese extreme Leugnung jeglicher Art kognitiver Wahrheit läuft auf eine
Leugnung der rechten Quadranten [=äußere Welt] überhaupt hinaus und
dies ist die Katastrophe der Moderne mit anderem Vorzeichen: Alle
rechtsseitigen Objekte werden auf linksseitige Interpretationen
reduziert und damit alle Wahrheit auf eine interpretative Laune. Und
doch glaubt man, daß diese umgekehrte Katatstrophe der Moderne aus dem
Irrsinn ihrer Gebrochenheit befreien könnte.
Weil die moderne Wissenschaft letztlich zwei der drei Wertsphären
(Ich-Ästhetik und Wir-Ethik) umgebracht hatte, versuchte die
Postmoderne einfach ihrerseits die Wissenschaft umzubringen und damit
auf ihre eigene groteske Weise eine 'Integration' oder
'Gleichberechtigung' aller drei Sphären herbeizuführen, weil alle drei
nun gewissermaßen 'gleich tot' waren. Diese wandelnden Leichname
sollten die Dissoziation der Moderne heilen. In das postmoderne Wüste
Land marschierte eine Zombie-Truppe ein, und das erstaunliche hieran
ist, daß sie eine nicht unerhebliche Zahl von Akademikern davon
überzeugen konnte, daß dies eine brauchbare Lösung für die Krankheiten
der Moderne sein könnte.
Die (extreme) Postmoderne ist heute in der Tat die bei weitem
vorherrschende Stimmung in der akademischen Welt, in der
Literaturtheorie, im neuen Historizismus, weiten Teilen der politischen
Theorie und (ob ihre Vertreter dies wahrhaben wollen oder nicht)
praktisch allen Ansätzen des 'Neuen Paradigmas' zu einer Integration
von Wissenschaft und Religion.
Versöhnung von Religion und
Wissenschaft
Wenn Wissenschaft und Religion integriert
werden sollen, dann müssen beide wenigstens ein bißchen nachgeben, ohne
sich freilich dadurch bis zur Unkenntlichkiet zu verformen. Wir haben
im Vorstehenden von der Wissenschaft nichts weiter gefordert als einen
Übergang vom engen (nur sinnliche Erfahrung) zum weiten Empirismus
(alle direkte Erfahrung), was sie im Hinblick auf ihre eigenen
begrifflichen Operationen von der Logik bis zur Mathematik ohnehin
schon tut.
Aber auch die Religion muss ein wenig nachgeben: Sie muß zulassen, daß
ihre Wahrheitsbehauptungen einer direkten Verifikation - oder
Falsifikation- durch Beweise aus der Erfahrung unterworfen werden.
Religion muß wie die Wissenschaft die drei Stränge aller gültigen
Erkenntnis annehmen und ihre Behauptungen in der unmittelbaren
Erfahrung verankern. (s. 208)
Authentische Spiritualität
Authentische Spiritualität kann daher nicht
mehr mythisch, bildhaft, mythologisch oder mythopoetisch sein, sondern
muß auf der Grundlage falsifizierbarer Evidenz ruhen. Mit anderen
Worten, ihr Kern müssen unmittelbare mythische, transzendente,
meditative, kontemplative oder yogische Erfahrungen sein, die nicht im
sinnlichen und nicht im geistigen, sondern im transsinnlichen,
transmentalen, transpersonalen, transzendenten Bewußtsein stattfinden,
Daten die nicht bloß mit dem Auge des Fleisches oder demjenigen des
Geistes, sondern mit dem Auge der Kontemplation beobachtet werden.
Kurz, authentische Spiritualität muß auf unmittelbarer spiritueller
Erfahrung beruhen, und diese muß streng den drei Strängen aller
gültigen Erkenntnis unterworfen werden: Injunktion, Wahrnehmung und
Bestätigung/Widerlegung, oder Paradigma, Daten und Falsifizierbarkeit.
...
Nur dann, wenn sich die Religion auf ihr Herz, ihre Seele und ihr Wesen
besinnt (nämlich unmittelbare mystische Erfahrungen und transzendentes
Bewußtsein, das sich nicht dem Auge des Fleisches enthüllt - dem
Bereich der Wissenschaft - und nicht dem Auge des Geistes - dem Bereich
der Philosophie -, sondern nur dem Auge der Kontemplation), kann sie
der Moderne standhalten und etwas bieten, was diese ja so dringend
braucht: eine echte, verifizierbare, wiederholbare Injunktion, die das
Spirituelle zum Vorschein bringt.
Religion in der modernen und prämodernen Welt muß sich auf ihre wahre
Stärke besinnen, nämlich die Kontemplation; andernfalls dient sie nur
der Sicherung eines prämodernen, prädifferenzierten Entwicklungsstandes
bei ihren Anhängern. Sie ist dann kein Werkzeug des Wachstums
und der Transformation sondern eine regressive, antiliberale,
reaktionäre Kraft. ...
Aus dieser Sichtweise gewinnt Religion ihre Rechtfertigung zurück, die
nicht im sinnlichen, mythischen oder geistigen, sondern letztlich im
kontemplativen Bereich liegt. Die große und geheime Botschaft der
Erfahrungsmystiker in aller Welt lautet, daß man mit dem Auge der
Kontemplation den GEIST sehen kann. Mit dem Auge der Kontemplation kann
man Gott sehen. Mit dem Auge der Kontemplation entfaltet sich strahlend
das große Innere.
Weite
Wissenschaft
Was wir also brauchen, ist eine weite
Wissenschaft aller vier Quadranten, nicht eine enge Wissenschaft nur
der rechtsseitigen Quadranten. Wir brauchen eine tiefe Wissenschaft,
die nicht nur die äußeren Es-heiten, sondern auch das Innere des Ich
und Wir umschließt. Wir brauchen eine tiefe Wissenschaft des Ich und
des Selbstausdrucks und der Ästhetik; der Moral , der Ethik, des Werts
und der Bedeutung; und der Objekte, Es-heiten, Prozesse und Systeme.
Die großen Drei - Kunst, objektive Wissenschaft und Moral - können also
anhand der grundlegenden Methodologie der tiefen Empirie und der tiefen
Wissenschaft (der drei Stränge aller gültigen Erkenntnis) unter einem
Dach zusammengefaßt werden. Ich und Wir werden endlich mit dem Es auf
eine Ebene gestell, aber nicht dadurch, daß Ich und Wir auf Es-heiten
reduziert werden ..., sondern durch die Einsicht, daß alle drei genau
so, wie sie sind, mittels derselben allgemeinen Methodologie zugänglich
sind, nämlich den drei Strängen der weiten Wissenschaft. Weite
Wissenschaft (oder tiefe Wissenschaft oder tiefe Empirie) kann uns in
der Tat bei unserer Suche auf jedem Gebiet geleiten, wobei es durchaus
nicht nötig ist, einen Bereich zu deformieren, um ihn mit den anderen
verträglich zu machen. Die drei Stränge der Wissenschaft scheiden in
jedem Quadranten (oder einfach in jedem der Großen Drei) das
Gültige vom Falschen, so daß man nicht nur wahre Sätze von falschen
Sätzen, sondern auch authentischen Selbstausdruck von Lüge, Schönheit
von Entwertung und moralisches Streben von Täuschung und Betrug
unterscheiden kann.
|